Wer sich in der internationalen Ruderszene etwas auskennt hat sicherlich schon einmal vom Boat Race gehört – das berüchtigte Duell zwischen den besten Achtern der Universitäten Cambridge und Oxford, erstmals ausgetragen im Jahr 1829 in Henley-on-Thames und später auf der Themse in London. Als Außenstehender ist man sich der Bedeutung dieses Rennens kaum bewusst, doch die lange Tradition der Rivalität zwischen den beiden Rudervereinen hat die Ruderkultur in beiden Städten deutlich geprägt. An dem kleinen, sehr kurvigen River Cam haben sich über die Jahre mehr als 30 Ruderklubs angesiedelt, teils als gewöhnliche Stadtvereine und teils unter dem Namen eines der zahlreichen Colleges, aus denen die Universität besteht. Das Niveau der Klubs variiert stark, von gewöhnlichem Breitensport bis hin zu nationalem Wettkampfniveau. Wer als Student an der Universität eingeschrieben ist, hat nun die Möglichkeit sich auf einen Platz in der Universitätsmannschaft zu bewerben, mit dem Traum eines Tages am Boat Race teilzunehmen.
Viele dieser Dinge waren mir nicht bewusst, als ich im Mai 2021 als Erasmus Studentin nach Cambridge kam. Ich hatte während eines vorherigen Auslandsaufenthalts in Bristol mit dem Rudern angefangen und war sehr begeistert von dem Sport. Durch eine Partnerschaft zwischen dem Heidelberger Ruderklub, dem ich während meines Masterstudiums beigetreten war, und dem Cantabridgian Rowing Club (Cantabs) fiel mir die Wahl eines neuen Vereins recht leicht und wenige Tage nach meiner Ankunft war ich Mitglied des Senior Women‘s Squad. Neben dem Uni Achter ist dies die erfolgreichste Frauenmannschaft in Cambridge, was sich in dem intensiven Trainingsplan widerspiegelt: 11 Einheiten pro Woche, davon 7 auf dem Wasser und 4 als Landtraining. Wer nebenbei noch einen Job hat, muss sich seine Zeit und Kraft gut einzuteilen wissen. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass alle vier Trainer ehrenamtlich arbeiten.
Heute, etwa ein Jahr nach meinem Umzug nach Cambridge, habe ich meinen Master abgeschlossen und eine Promotion begonnen. Zudem kann ich auf zwei sehr erfolgreiche Rudersaisons zurückblicken: im vergangenen Jahr habe ich mich im Doppelzweier für die seit 1988 bestehende Henley Women‘s Regatta (HWR) qualifiziert und das Viertelfinale erreicht. Drei Monate später erzielte ich den fünften Platz in der Senior Women Kategorie beim Sculler‘s Head Race, bei dem die Strecke des Boat Race auf der Themse im Einer bezwungen wird. In diesem Jahr hatte ich die Ehre im ersten Achter unseres Vereins zu rudern, was mir zunächst einen Sieg beim Women‘s Head of the River Race (WeHoRR) in London bescherte. Im Laufe der Regatta Saison konnten wir uns weiterhin verbessern, sodass wir das Halbfinale der HWR erreichten und dort trotz eines neuen Streckenrekords leider knapp das Finale verpassten. Seit 2021 bietet die weit aus renommiertere Henley Royal Regatta einige Frauenevents an, und nach unseren vorherigen Erfolgen wagten wir den Versuch uns für den Wargrave Challenge Cup zu qualifizieren. Trotz starken Gegenwinds gelang es uns in die Top 16 zu kommen, und eine Woche später konnten wir stolz nach Henley zurückkehren und uns unserem ersten Gegner, dem Sydney Rowing Club, stellen. Leider waren die Australier uns weit überlegen, aber wir waren trotz allem sehr zufrieden mit unserer Leistung.
Was tut man nun am Ende einer so intensiven Saison? In Cambridge lautet die Antwort auf diese Frage: Bumps! Dies ist ein eher ungewöhnliches Ruderevent, dass sich in Cambridge und Oxford vermutlich aufgrund der steigenden Anzahl von Ruderklubs entwickelt hat. Das Prinzip: Jeder Verein meldet eine Reihe von Achtern, die sich alle in einer langen Reihe am einen Ende des Flusses versammeln, mit einer Bootslänge Abstand. Fällt der Startschuss versucht jede Mannschaft das Boot vor ihnen so schnell wie möglich einzuholen, und das ohne von hinten selbst eingeholt zu werden. Die Jagd endet erst nach einer Form von Kontakt zwischen den beiden Booten, etwa zwischen Heck und Bug (und nein, nicht nur alte Boote werden für dieses Rennen genutzt). Am nächsten Tag tauschen die beiden Boote die Positionen. Das Ganze wird fünf Tage in Folge wiederholt, Ziel ist es natürlich das erste Boot in der Reihe zu sein. Seit mehreren Jahren ist dies die Position des ersten Cantabs Frauenachters, und wir dürfen gespannt sein, ob wir uns erneut gegen die restlichen Mannschaften verteidigen können.
Foto: Cantabs W1 auf dem Weg zum Sieg beim WeHoRR 2022. (Fotograf: Allmarkone)
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.