Während meines diesjährigen Israel-Aufenthaltes ergab sich überraschend die Gelegenheit zu rudern.
Bisher hatte ich das bei meinen Israel-Besuchen nie ins Auge gefasst, weil ich dort mit ganz anderen Dingen beschäftigt war und die Ruderei dabei keine Rolle spielte. Diesmal ergab sich aus einer spontanen Situation heraus die Möglichkeit, den Haifa Rowing Club zu besuchen.
Haifa ist eine Stadt am Mittelmeer im Norden Israels mit einem relativ bedeutenden Handels-hafen, recht vielen High Tech-Unternehmen und einer weltweit renommierten technischen Universität, dem Technion. So wie die Gründung und frühe Geschichte des Technion mit jüdischen Professoren aus Deutschland eng verknüpft ist, die angesichts des zunehmenden Antisemitismus nach Palästina emigrierten, geht auch die Gründung des Haifa Rowing Club auf Juden aus Deutschland zurück. Berliner Juden, die in Berliner Ruderklubs aktiv waren, flohen vor der Barbarei des NS-Regimes. Es gelang ihnen auf abenteuerlichen Wegen, einige Klin-kerboote mitzunehmen. Das war der Grundstock des Haifa Rowing Clubs, der von ihnen 1935 gegründet wurde. Rudern ist in Israel eine Randsportart. Es gibt im ganzen Land fünf Clubs. Drei in Tel Aviv, einen in Haifa und einen in Tiberias am See Genezareth.
Das Bootshaus in Haifa liegt im Industriehafen, eingezwängt von Raffinerien. Für jemanden, der im schönsten Bootshaus der Mosel zu Hause ist, ein ziemlicher Alptraum.
Die Verabredung zum Rudern hatte ich freitags getroffen, wir wollten früh am Sonntag einen klassischen Doppelzweier rudern. Ami Kronenberg ist ein älterer erfahrener Ruderer, der ähn-lich wie Georg Huesgen viel Zeit im Bootshaus verbringt. Als gelernter Ingenieur ist er der Tüftler im Club, die Pflege der Boote ist seine Sache. Aufs Wasser geht er, wann immer er kann. Das ist jedoch ein wenig komplizierter als bei uns. Wegen der Hitze ab Mai kommen nur die frühen Morgenstunden oder der späte Nachmittag in Frage. Der Abend, wie bei uns in der Sommerzeit, fällt deswegen flach, weil es ab 20.00 Uhr schon richtig dunkel wird.
Mit dem klassischen Doppelzweier wurde es dann am Sonntag nichts, der Wind hatte früh am Morgen aufgedreht, viele Wellen und unruhiges Wasser. So entschied Ami ein Küstenruder-boot zu nehmen, ein Boot, in dem ich noch nie gerudert bin. Es ist breiter und stabiler als der Renndoppelzweier, hat eine leichte Schräge vom Bug zum Heck und eine Öffnung am Heck durch das einschlagendes Wasser gleich abfließen kann. Das Boot wird von einer französi-schen Werft gebaut – Eurodiffusion – und ist auch für größere Ströme mit viel Schiffsverkehr, wie der Rhein etwa, sehr gut geeignet. Der erste Teil der Ruderstrecke führte uns durch einen Teil des Hafens, vorbei an Frachtern und Containerschiffen. Hier ist eine genaue Kenntnis der Örtlichkeit und der Schifffahrtsregeln absolut notwendig. Dann bogen wir in die Mündung des Kishon River ein und ruderten diesen etwa drei Kilometer flussaufwärts. In früheren Jah-ren war das wohl kein Vergnügen, weil der Fluss sehr stark durch Einleitungen aller mögli-chen Substanzen belastet war. Das hat sich aber durch verschiedenste Schutzmaßnahmen enorm verbessert, so dass es jetzt eine Lust war, diesen Fluss, der schon in der hebräischen Bibel mehrfach erwähnt wird, zu rudern.
Zurück am Steg des Bootshauses hatte ich eine mich sehr berührende Begegnung. Es erwarte-te uns dort ein Ruderkamerad etwa meines Alters, Mitte 60. Ich war überrascht, als er plötz-lich vom Englischen ins Deutsche wechselte. Er erzählte mir, dass sein Vater aus Berlin stammte und seine Mutter Herta eine geborene Marcks aus Wittlich sei. Die Familie hatte dort in der Trierer Str. ein Textilgeschäft. Herta Marcks gelingt Ende der dreißiger Jahre nach ei-ner mehrmonatigen abenteuerlichen Schifffahrt die Flucht nach Palästina. So entgeht sie De-portation und Vernichtung. Hier in Israel findet sie eine neue Heimat, sie heiratet und be-kommt zwei Kinder. Heute lebt sie hochbetagt – 99-jährig – bei noch wachem Verstand in einem Altenheim in Haifa.
Guido Steffens
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